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21.12.2005 Biotechnologie / Lebensmitteltechnologie

Multikulti in der Käseproduktion

Ohne sie läuft gar nichts. Es gäbe keinen Käse, keinen Kefir, keinen Joghurt. Und auch auf andere fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut, Rohwurst oder einige Backwaren müssten wir verzichten. Milchsäurebakterien sind die wichtigsten Helfer in der Nahrungsmittelproduktion. Seit Jahrtausenden vom Menschen eingesetzt, helfen neue Analyseverfahren in der Biotechnologie dabei, Aufbau und Wirkungsweise von Mehrstammkulturen genauer zu verstehen. "In die Blackbox kommt langsam Licht", sagt Dr. Udo Friedrich, Mikrobiologe bei Danisco in Niebüll.

In der Natur gibt es eine Vielzahl verschiedener Bakterienarten, die jeweils bis zu Hunderte verschiedene Stämme ausbilden können. Nur bestimmte Stämme werden beispielsweise in der Käseherstellung genutzt. Ob würzig oder mild, schnittfest oder cremig – jeder Bakterienstamm kreiert einen anderen Käse. Um eine gleichbleibende Qualität zu garantieren, nutzen die Hersteller Starterkulturen, mit denen sie das Rohmaterial bei jeder Charge frisch "animpfen".

Fermenter bei Danisco
Fermenterkontrolle bei Danisco
Auf Entwicklung und Herstellung dieser Kulturen hat sich die Danisco Deutschland GmbH spezialisiert. Man unterscheidet zwischen definierten und komplexen Mehrstammkulturen: Definierte Starterkulturen entstehen durch Mischung von Bakterienstämmen mit ausgesuchten Eigenschaften. Da man maximal zehn Stämme mischen kann, eignen sie sich nur für vergleichsweise einfache Produkte. Im Aroma komplexe Käsesorten wie Gouda, Tilsiter und Edamer werden dagegen mit komplexen Mehrstamm-Starterkulturen hergestellt – über die man bislang relativ wenig weiß.

Dabei hat die Multikulti-Bakterientruppe einen großen Vorteil: Sie ist robust gegenüber Bakteriophagen. Das sind Viren, die es jeweils speziell auf einen Bakterienstamm abgesehen haben und diesen vernichten. Bleibt in der Fermentation die Säuerung aus, kann dies zum Verlust der kompletten Charge führen – und damit zu beträchtlichen finanziellen Einbußen.

Auch aus anderen Gründen ist die Industrie daran interessiert, die Zusammensetzung der Mehrstammkulturen aufzuklären. "Nur wer die Abläufe versteht, kann gezielt eingreifen", erläutert Dr. Detlef Goelling, Manager für Prozesstechnik bei Danisco. Es gehe darum, Ausbeuten zu steigern, Prozesse reproduzierbar zu machen und die Kommunikationssignale, mit denen sich die Stämme gegenseitig beeinflussen aufzuklären. "Das ist wie bei einem Fußballteam: Gute Einzelspieler allein garantieren noch lange keine Tore."

So hat Danisco in der FH Flensburg einen Kooperationspartner gefunden, der für Grundlagenforschung auf diesem Gebiet die besten Voraussetzungen mitbringt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut Erdmann werden an der FH neue Methoden entwickelt, um Einzelstämme aus komplexen Mehrstammkulturen zu isolieren und zu charakterisieren. In einem gemeinsamen Projekt soll ein Schnelltest entstehen, mit dem Bakterienstämme in verschiedenen Produktionsphasen nachgewiesen und quantifiziert werden können.

Bakterienstammkulturen
Starterkulturen werden tröpfchenweise gefroren, um sie später leichter portionieren zu können. Fotos: Danisco
Dazu wird zunächst aus einem Isolat die Erbinformation (DNA) extrahiert und mit speziellen Methoden ein Muster ähnlich dem eines Strichcodes erzeugt, das für den Bakterienstamm spezifisch ist. Die Muster werden im PC gespeichert und nach Ähnlichkeiten sortiert. So entsteht ein Gesamtbild, das Rückschlüsse auf die Vielfalt der Stämme zulässt.

Um bestimmte Genabschnitte für die DNA-Chiptechnologie zu detektieren, kommt die Polymerase-Kettenreaktion zum Einsatz. Mit ihrer Hilfe können DNA-Sequenzen vervielfältigt werden, ohne einen lebenden Organismus zu verwenden. Die Erbinformation bleibt unverändert: Danisco setzt keinerlei gentechnisch veränderte Organismen ein. "Darauf legen die Kunden wert", sagt Goelling.

Die DNA-Chiptechnologie bietet die Möglichkeit, eine sehr große Zahl von Genen gleichzeitig zu untersuchen. Das geschieht auf kleinen Glasplättchen, die in verschiedenen Sektoren mit unterschiedlichen DNA-Stücken beschichtet werden. Bringt man den Chip in Kontakt mit einer DNA-Probe einer Kultur oder eines Käses, wird DNA mit gleicher Basenfolge im jeweiligen Sektor gebunden, was durch Farbänderung sichtbar wird.

Rund 144.000 Euro hat die Innovationsstiftung Schleswig-Holstein für das Projekt bereitgestellt, noch einmal die Hälfte dieser Summe übernimmt Danisco. In der engen Kooperation mit der FH Flensburg sieht Goelling einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil – nicht nur für Danisco insgesamt, sondern insbesondere für die Stärkung des Forschungs- und Produktionsstandortes in Niebüll.

Stichwort: Milchsäurebakterien
Der Begriff Milchsäurebakterien (lactic acid bacteria, LAB) bezeichnet eine heterogene Gruppe an Organismen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie Kohlenhydrate abbauen und als Endprodukt nur oder überwiegend Milchsäure ausscheiden. Von anderen, ebenfalls Milchsäure produzierenden Bakterien unterscheiden sie sich durch ihre Unfähigkeit zu einem anderen Stoffwechselprozess als der Gärung. Wird in der Milch der Milchzucker zu Milchsäure umgewandelt, zieht sich das Milcheiweiß zu kleinen Klümpchen zusammen. Dieser Effekt ist bei der Joghurt- oder Käseherstellung durchaus gewünscht.  Milchsäurebakterien findet man im Darm und in Schleimhäuten von Säugetieren, in lebenden oder sich zersetzenden Pflanzen sowie in Milch und an Orten, die mit Milch in Berührung gekommen sind. Probiotische Milchsäurebakterien sind robust gegen Magen- und Gallensäure. Ihnen wird eine positive Wirkung auf die Darmflora des Menschen nachgesagt.


 
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