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18.04.2005 Bildverarbeitung / Medizintechnik / HWT

Rechnen für die Medizin

"Bitte tief einatmen und nicht mehr bewegen!" Diese Anweisung hat jeder schon einmal gehört, dessen Rumpf geröntgt werden sollte. In fast allen Anwendungen der medizinischen Bildgebung beeinflussen Bewegungen und andere Störfaktoren Diagnose und Therapie. Will der Arzt zum Beispiel Bilder vor und nach einer Behandlung miteinander vergleichen, wird's schwierig. Weil der Patient selten in beiden Fällen die gleiche Position einnimmt, weil er eventuell zugenommen oder vielleicht einen anderen Mageninhalt hat. Mathematiker der Uni Lübeck entwickeln Rechenverfahren, die solche Differenzen korrigieren können.

Bildregistrierung heißt der Vorgang, wenn unerwünschte Störfaktoren, so genannte Artefakte, auf numerischem Weg bereinigt werden. Bei vielen Aufnahmegeräten zählt eine einfache Bildregistrierung zwar zum Standard. Für komplexe Probleme taugen solche starren Verfahren aber nicht, sagt Professor Bernd Fischer vom Institut für Mathematik an der Uni Lübeck. Sein Team setzt auf flexible Registrierung - und habe dafür "einen ganzen Sack voll Algorithmen" parat: Immer dann, wenn Bildinformationen unterschiedlicher Perspektiven, Zeiten oder von unterschiedlichen Aufnahmegeräten verglichen oder integriert werden sollen, kommen sie zum Einsatz.

Ein Beispiel verdeutlicht den Nutzen: Kernspintomografen liefern detailreiche Abbildungen der Weichteile. Ein Befund lässt sich damit feststellen, ein möglicher Eingriff aber nur schwer planen. "Mediziner müssen sich orientieren", erläutert Mathematiker Dr. Jan Modersitzki. Dies geschehe an anatomischen Landmarken wie den Rippen, die auf solchen Bildern nicht dargestellt werden. Auf Aufnahmen eines Computertomografen sind hingegen die Knochen zu sehen, dafür die Weichteile nicht. Die Kombination beider Aufnahmen wäre für den Arzt ideal.

Um dahin zu kommen, verwenden die Mathematiker neuartige Techniken. Diese Methoden versuchen grundsätzlich, ein Abstandsmaß zwischen den vorgegebenen Bildern zu minimieren. Gerechnet wird dreidimensional. Eine solche Modellierung führe zu einem System nichtlinearer, partieller Differentialgleichungen, das schon mal eine halbe Milliarde Unbekannte enthalten könne, sagt Fischer. "Für den Einsatz in der Praxis sind schnelle und robuste Algorithmen zwingend notwendig."

Dass ihre Rechenverfahren auf einem herkömmlichen PC innerhalb weniger Sekunden zu hervorragenden Ergebnissen führen, haben die Forscher bereits unter Beweis gestellt - an einem Apparat der Firma MIE Medical Imaging Electronics aus Seth im Kreis Segeberg. MIE produziert Anlagen für den nuklearmedizinischen Bedarf, unter anderem auch für die Tiermedizin.

So wurde einem Pferd eine radioaktive Substanz gespritzt, um anhand der Ausbreitung im Körper krankhafte Gewebeveränderungen festzustellen. Ein Scanner machte dazu innerhalb von drei Minuten 180 Aufnahmen. Natürlich hat das Tier solange nicht völlig ruhig gestanden. Alle Bilder übereinander gelegt ergeben nur ein schwammiges Resultat. Wendet man aber einen der in Lübeck entwickelten Algorithmen auf die Daten an, wird das Ergebnis scharf: Deutlich ist zu erkennen, wo sich das Kontrastmittel ansammelt.

Das Know-how der Wissenschaftler hat sich herumgesprochen. Namhafte Gerätehersteller suchen heute den Kontakt, und auf einem Fachkongress vor wenigen Tagen in Heidelberg konnten Fischers Mitarbeiter fünf von neun Preisen einheimsen. Zu ihren aktuellen Kooperationspartnern gehören unter anderem die Stanford University sowie die Unikliniken in Aachen und Lübeck. Auch mit MIE gibt es eine neue Zusammenarbeit. Ziel ist die Entwicklung eines Algorithmus für die nuklearmedizinische Bildgebung: Er soll es ermöglichen, während kardiologischer Aufnahmen automatisiert Bewegungsmuster herauszurechnen, die durch den Herzschlag entstehen. Herzinfarkte ließen sich dadurch exakter feststellen.

Das Projekt, das im Rahmen des Programms "Hochschule-Wirtschaft-Transfer" von der Innovationsstiftung Schleswig-Holstein und dem Bildungsministerium gefördert wird, ist weit mehr als nur eine weitere Anwendung Lübecker Mathematikkunst. Durch die Zusammenarbeit mit MIE erhalten die Wissenschaftler erstmals Zugriff auf die Rohdaten eines Herstellers. Schließlich sind es bei modernden Bildgebungsverfahren ebenfalls Algorithmen, die im PC das Bild überhaupt erst entstehen lassen. Statt den Korrektur-Algorithmus erst im Anschluss anzuwenden, könnte ein integriertes Verfahren künftig noch exaktere Resultate liefern. "Ein solcher Ansatz," sagt Fischer, "ist weltweit einmalig."


 
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