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17.06.2005 Bildverarbeitung / Medizintechnik

Innovationen mit Biss

Woran erkennt man einen Teenager? An Flausen im Kopf und Klammern auf den Zähnen. Letztere können Jugendliche ebenso wie erwachsene Patienten bald schneller loswerden: In der Kieferorthopädie ermöglichen digitale Bildverarbeitungssysteme in Verbindung mit Robotern effizientere Behandlungen.

„Der Kieferorthopäde macht sich den Effekt zunutze, dass sich Zähne durch den Kieferknochen bewegen lassen, wenn man permanent Druck in sie einleitet“, sagt Friedrich Riemeier, Geschäftsführer der OraMetrix GmbH. „Der Knochen baut sich unter dem Druck ab und auf der gegenüberliegenden Seite wieder auf – und erlaubt damit eine physische Bewegung der Zähne.“

Seitenansicht eines Gebisses im virtuellen 3D-Modell
Seitenansicht eines Gebisses im virtuellen 3D-Modell
Sofern eine Therapieplanung erfolgt, ?ndet diese am Gipsmodell mit aufgeklebten Brackets statt. Die Drähte für diese festsitzenden Spangen werden per Hand den Erfordernissen angepasst. Der Patient muss regelmäßig in die Praxis kommen, wo der Arzt in Abhängigkeit von der veränderten Zahnstellung über die weitere Therapie entscheidet. „Die konventionelle Kieferorthopädie verfügt über keine praktikablen Mittel, den Behandlungsfortschritt zu verfolgen oder vorherzusagen.“

Der Einsatz neuer Medien ändert dies radikal. OraMetrix hat eine Kamera kaum größer als ein Zahnarztspiegel entwickelt, mit deren Hilfe der Kieferorthopäde das Gebiss des Patienten berührungslos frei Hand abscannen kann. Aus den Daten entsteht im PC ein digitaler 3D-Abdruck. Klingt einfach, bedarf aber jeder Menge Know-how, wie der Geschäftsführer jüngst in Kiel erläuterte. Riemeier war einer der Referenten auf der Jahrestagung der ISH-Initiative Bildverarbeitung, die unter dem Motto „Visuelle Robotik“ stand.

Bevor die Aufnahme erfolgt, muss ein dünner, weißer Film auf die Zähne aufgetragen werden, da sich deren durchscheinende Oberfläche sonst nicht vermessen lässt. Er wird später mit der Zahnbürste entfernt. Dann wird der Spiegel der Kamera an den Zähnen vorbeigeführt. Dabei werden eine Vielzahl von 2D-Bildern aufgenommen. Sie geben ein auf die Zähne projiziertes Muster aus Linien wieder. Da die Muster unter einem anderen Winkel als dem Blickwinkel der Kamera projiziert werden, erscheinen die Linien in Abhängigkeit von der Form der Zähne verzerrt. Aus dieser Verzerrung lässt sich die 3D-Gestalt der Zähne errechnen.

Friedrich Riemeier, Geschäftsführer der OraMetrix GmbH
Friedrich Riemeier, Geschäftsführer der OraMetrix GmbH
Anhand des digitalen Gebisses kann der Arzt die Behandlung simulieren und das Behandlungsziel festlegen. Daraus wird die Geometrie der Drahtbögen bestimmt und ein Datensatz zur Steuerung eines Roboters erzeugt. In der Kieferorthopädie werden meist vorgeformte, superelastische Materialien verwendet, die es erlauben, mit geringen Kräften große Bewegungen durchzuführen. Sie lassen sich jedoch nicht durch Biegen individualisieren, da erst eine komplexe Wärmebehandlung bei bis zu 500 Grad Celsius während des Biegens die Form dauerhaft einprägt. OraMetrix entwickelte ein Hochgeschwindigkeitsverfahren zur Wärmebehandlung, das es erlaubt, nun auch diese Drähte hochpräzise mit 6-Achsen-Robotern individuell anzufertigen.

Den Anstoß für die Entwicklung der Technik gaben Professor Helge Fischer-Brandies, Direktor der Klinik für Kieferorthopädie an der Uni Kiel, und sein Mitarbeiter Dr. Wolfgang Orthuber. Beide hatten bereits vor 15 Jahren ein Verfahren zur PC-gestützten Biegung kieferorthopädischer Drähte patentiert. „Ein paar Jahre später hätten wir es leichter gehabt“, sagt Orthuber. Nachdem die Kieler viele Firmen angesprochen hatten, vergaben sie 1991 die Lizenz an ein Entwicklungsbüro in Berlin. Dort wurde die Technik weiterentwickelt, was zur Gründung der OraMetrix GmbH führte. Von amerikanischen Venture-Capital-Firmen ?nanziert, ist das Verfahren heute in den USA im Einsatz. Die Behandlungszeit reduziert sich damit um etwa 40 Prozent.

Die Zeitraffer-Darstellung einer Behandlung beeindruckte auf der Jahrestagung die rund 80 teilnehmenden Fachleute. Auch die anderen Vorträge, in denen es zum Beispiel um den Einsatz von sensorbasierten Robotern in der Industrie oder das Lokalisieren von Nervenzellen im Gehirn ging, führten zu einem regen Erfahrungsaustausch.

Fotos: OraMetrix


 
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