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04.05.2006 Bioenergie

Sonne im Tank, Reaktor in der Garage

Nicht immer kommt der technische Fortschritt in spektakulärem Gewand daher. Experten und Studenten im gut gefüllten Hörsaal der FH Flensburg konnten ihn jetzt in einem schlichten Glasbecher begutachten. Darin enthalten war eine klare Flüssigkeit, die Michael Deutmeyer mit in die Fördestadt gebracht hatte. Es handelte sich um die Probe des derzeit saubersten Treibstoffes – ohne Schwefel, aromatenfrei und zudem äußerst Klima schonend, da er nicht aus fossilen Energieträgern, sondern aus Holzschnitzeln und Stroh gewonnen wird. Deutmeyer ist General-Manager der Firma Choren, die derzeit im sächsischen Freiberg eine neue Produktionsanlage für Biokraftstoffe der 2. Generation aufbaut. Er war einer der Referenten auf einer Fachveranstaltung, zu der Wirtschaftsförderung und Technologietransfer Schleswig-Holstein GmbH (WTSH), Innovationsstiftung Schleswig-Holstein (ISH) und FH Flensburg gemeinsam geladen hatten. Thema: Thermochemische Umwandlung von Biomasse.

Biomasse ist einzigartig unter den erneuerbaren Energien. Im Gegensatz zu Wind- und Sonnenenergie ist sie lagerfähig und damit auf Abruf verfügbar. Ihr Einsatzzweck ist flexibel: Sie kann zur Erzeugung von Wärme ebenso verwendet werden wie zur Stromproduktion oder als Treibstoff. Ein Weg, um das organisches Material in einen gebrauchsfähigen Energieträger zu verwandeln, ist die chemische Umsetzung bei sehr hohen Temperaturen. Die Verfahren dazu sind äußerst vielfältig.

BtL-Kraftstoff: Die Pilot-Produktion bei Choren
Endprodukt eines der Prozesse können Btl-Kraftstoffe (Biomass-to-Liquid) wie „Sunfuel“ sein, der Treibstoff in dem Glasbecher. BtL-Kraftstoffe seien herkömmlichem Diesel und erst recht Biodiesel qualitativ überlegen, sagt Deutmeyer. Und: „Die Rohstoffbasis ist bei BtL sehr groß: Anders als beim Biodiesel kommen für die Herstellung nicht nur die Früchte der Ölsaaten in Frage, sondern alle Pflanzenteile.“

Mähdrescher beim Sonnenuntergang
Foto: PixelQuelle.de
Wie aber kommt die Sonne in den Tank? Dazu sind zunächst drei Vergasungsschritte vonnöten. Die Biomasse wird als erstes in einem Niedertemperaturvergaser bei 400 bis 500 Grad Celsius zu teerreichem Schwelgas und Koks zersetzt. Die Schritte 2 und 3 finden im Flugstromvergaser statt. Im oberen Bereich dieses senkrechten Behälters wird das Schwelgas mit Sauerstoff bei einer Temperatur von etwa 1.500 Grad zu CO2 und H2O umgesetzt. „Dabei brechen die Teere auf“, sagt Deutmeyer.

Der Koks wird inzwischen zermahlen und dann mit heißem Gas in den unteren Teil des Flugstromvergasers eingeblasen. Ein cleveres Vorgehen: Denn mit Hilfe des Koks werden das von oben nachströmende CO2 und H2O nun zu Wasserstoff und dem gewünschten Kohlenmonoxid reduziert. Die Temperatur in diesem Abschnitt liegt noch immer bei etwa 900 Grad. Eventuell auftretende Asche ist bei diesen Temperaturen flüssig und fließt mit den anorganischen Bestandteilen der Biomasse nach unten ab.

So wird aus Kohlenwasserstoffen (der Biomasse) ein Synthesegas erzeugt. Was dann folgt, klingt paradox: Aus dem gereinigten Synthesegas werden wieder Kohlenwasserstoffe (der hochreine Kraftstoff) – mit dem entscheidenden Unterschied, dass die Verbindungen nun völlig andere als beim Ausgangsprodukt sind. Das Verfahren hierzu ist unter dem Namen Fischer-Tropsch-Synthese bekannt.

75.000 Tonnen Biomasse will Choren 2007 zu 16,5 Millionen Litern „Sunfuel“ umsetzen. Deutmeyer schätzt, dass im Jahr 2020 nach Ausweitung der Produktion ein Liter „Sunfuel“ 50 Cent in der Herstellung kosten wird.

Pyrolyseöl als Zwischenprodukt: Der Karlsruher Ansatz
Eine solch aufwändige Produktion lässt sich nur im Großformat wirtschaftlich betreiben. Genau auf dieses Problem zielt das »bioliq«-Konzept des Forschungszentrums Karlsruhe ab. Es sieht vor, Biomasse in kleinen, dezentralen Anlagen in ein flüssiges Zwischenprodukt, den Slurry, umzuwandeln. Die Energiedichte des Slurrys ist wesentlich höher. Erst der Slurry wird zur Vergasung in die Großanlage gebracht. Vorteil: Es fallen deutlich geringere Transportkosten an.

Um den Slurry zu erhalten, wird die Biomasse mit Hilfe der Pyrolyse umgesetzt. Bei der Pyrolyse werden die Verbindungen unter Sauerstoffausschluss thermisch gespalten. Dabei erhält man die drei Hauptprodukte Koks, Öl und Gas. Anhand der Prozessparameter lässt sich deren jeweilige Menge beeinflussen.

Für Slurrys ist ein möglichst hoher Anteil Pyrolyseöl gewünscht. Die Karlsruher Forscher setzen auf die so genannte Flash-Pyrolyse. Klein gehäckselt kommt die Biomasse weniger als eine Sekunde mit 500 Grad heißem Sand in Kontakt und wird dabei zersetzt. Der Slurry wird aus dem so gewonnen Öl und Koks erzeugt.

Gaserzeugung per Pyrolyse: Das Projekt an der FH Flensburg
Die Flash-Pyrolyse kann jedoch auch eingesetzt werden, wenn nicht eine hohe Öl-, sondern Gasausbeute das Ziel ist. Das zeigt ein Kooperationsprojekt, in dem Forscher der FH Flensburg mit den Firmen LUT in Eckernförde und Joh. Storm in Rendsburg zusammenarbeiten. Die Idee: Die Biomasse soll dezentral in kleinen Anlagen »just in time« in nutzbares Biogas umgesetzt werden.

Prof. Jens Born
"Unser Reaktor zielt auf kleine Einheiten ab": Prof. Jens Born, FH Flensburg
Für eine hohe Gasausbeute sind allerdings wesentlich höhere Temperaturen notwendig. Auf dem Gelände der Firma Storm haben die Projektpartner einen Drallstromreaktor aufgebaut, in dem die Aufspaltung der Biomasse bei mehr als 1.000 Grad Celsius stattfindet. Die Reaktionszeit beträgt auch hier weniger als eine Sekunde. Die Reaktionsprodukte werden rasch abtransportiert und gekühlt.

Die Prozessparameter sollen den in Schleswig-Holstein typischen Biomassen wie Knickholz, Getreide und Stroh angepasst werden. Die Innovationsstiftung Schleswig-Holstein unterstützt die Optimierung der Verfahrenstechnik mit 100.000 Euro. Ein besonderes Augenmerk richtet sich auch auf die bei der Pyrolyse entstehenden Aschen. Je nach eingesetztem Pflanzenmaterial können sie abrasive oder korrosive Eigenschaften aufweisen und damit den Verschleiß der Anlage beschleunigen.

Auf 67 Prozent konnten die Projektpartner die Gasausbeute ihrer Anlage bereits steigern. „Das Synthesegas lässt sich vielfältig nutzen“, sagt Prof. Jens Born vom Institut für chemische Technologie der FH Flensburg. Vorgesehen ist, es zunächst zur Energieerzeugung in der Kraft-Wärmekopplung zu verwenden. „Unser Reaktor zielt auf kleine Einheiten – Bauernhöfe, Mehrfamilienhäuser – ab, die damit ihre Energie erzeugen können. Ausreichend Platz für die Anlage bietet schon eine Fertiggarage.“

Als Konkurrenz zu den anderen Verfahren sehen die Schleswig-Holsteiner ihre Methode nicht. Die Nutzungsmöglichkeiten der Biomasse seien facettenreich, hatte Moderatorin Dr. Michaela Oesser, Leiterin des hiesigen Arbeitskreises Nachwachsende Rohstoffe, schon zu Beginn der Veranstaltung betont. Die vorgestellten Projekte zeigten nur einen kleinen Ausschnitt, sagte Oesser. Einen Königsweg gäbe es nicht.


   

Stichwort Biomasse: 3 Wege, um aus Biomasse Gebrauchsenergien herzustellen

  • Biochemische Umwandlung durch mikrobielle Abbauprozesse (Gärung)
    Führt zu Biogas oder Bioethanol. Vor allem zucker-, stärke- und cellulosehaltige Rohstoffe sind für die Gärung prädestiniert. Man unterscheidet zwischen aeroben und anaeroben Gärungsprozessen.
  • Physikalisch-chemische Umwandlungsprozesse (Pressen, Extraktion)
    Kommen vor allem für Ölsaaten in Betracht. Da die Ölreinheit entscheidend ist, werden Feststoffe nach dem Pressen durch Filtern oder Sedimentation abgetrennt. Das Öl kann direkt in Verbrennungsmotoren eingesetzt werden, sofern diese angepasst wurden. Oder es wird zu Biodiesel weiterverarbeitet.
  • Thermochemische Umwandlungsprozesse (Verbrennung, Vergasung, Pyrolyse)
    Verbrennung: hoher Sauerstoffanteil, die freigesetzte Wärme wird unmittelbar zum Heizen genutzt.
    Vergasung: mittlere Sauerstoffbeteiligung, mit verschiedenen Vergaserarten lassen sich unterschiedliche Gasqualitäten erzeugen, reines Synthesegas ist Basis für synthetische Kraftstoffe.
    Pyrolyse: erfolgt unter Luftausschluss, durch Wahl der Reaktionsparameter kann der Prozess gezielt darauf abgestellt werden, welches der Pyrolyseprodukte Koks, Öl oder Gas vornehmlich entstehen soll.

 
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