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12.02.2007 Bildverarbeitung

Ansichtssachen

Der Wasserturm in Kiel ist ein markantes Bauwerk. Rund, rot und robust erscheint sein Abbild auf dem Laptopbildschirm von Informatiker Felix Woelk. Bewegt man die Maus, ändert sich die Position des Betrachters. Ein Blick von links, ein Blick von rechts, vielleicht ein kleiner virtueller Spaziergang um das Gebäude? Alles kein Problem. „Diese Rekonstruktion ist aus wenigen Schnappschüssen entstanden, die wir vom Wasserturm gemacht haben“, sagt der Doktorand aus der Arbeitsgruppe „Multimediale Informationsverarbeitung“ am Institut für Informatik der Uni Kiel. Das von Professor Reinhard Koch geleitet Team ist auf dreidimensionale Modellierungen dieser Art spezialisiert. Sie sind Basis für vielfältige Anwendungen – und für Felix Woelk und Friso Evers-Senne jetzt auch Sprungbrett in die Selbstständigkeit.

Dem Computer das Sehen beizubringen, dieses Ziel verfolgen Wissenschaftler schon seit Jahren. Als Vorbild dient die Natur: Das menschliche Gehirn ist in der Lage, innerhalb von Sekundenbruchteilen aus Informationen, die die Augen liefern, ein räumliches Bild zu erzeugen. Dem PC fehlen diese Sinneseindrücke, daher müssen Fotos als Basisinformation herhalten.

Firmengründer Friso Evers-Senne (l.) und Felix Woelk
Firmengründer Friso Evers-Senne (l.) und Felix Woelk
Damit der Rechner sie räumlich interpretieren kann, bedarf es jedoch einiger Kniffe. „Standardmäßig verwendet man dazu Marker. Das sind einfache geometrische Figuren, die man im Bild platziert und mit deren Hilfe sich berechnen lässt, wie die Kamera positioniert war“, erläutert Evers-Senne. Hat man mehrere Aufnahmen derselben Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln, lässt sich ein dreidimensionales Abbild modellieren. „Tracking“ heißt der Vorgang, wenn ein Algorithmus die räumlichen Beziehungen aller abgebildeten Objekte bestimmt.

Dass „Tracking“ auch ohne Marker funktioniert, hat die Kieler Forschergruppe unter anderem im Projekt ARTESAS bewiesen. An dem vom Bund geförderten Vorhaben waren namhafte Industriepartner wie Siemens, Zeiss und BMW beteiligt. Es ging dabei um „Virtuelle Realitäten“ (Augmented Reality). Das sind Anwendungen, bei denen der realen Umgebung virtuelle Informationen hinzugefügt werden. In der Autowerkstatt der Zukunft etwa wird der Mechaniker vielleicht eine Spezialbrille tragen, wenn er bei der Reparatur eines Fahrzeuges in den Motorraum schaut. Rechnergestützt könnten ihm so in das reale Bild zusätzliche Hinweise eingeblendet werden – zum Beispiel die Anweisungen für das Einsetzen eines Ersatzteils.

„Auch in diesem Beispiel ist es entscheidend, zu wissen: Wohin blickt der Mechaniker? Wie ist er im Verhältnis zu den abgebildeten Objekten positioniert?“, sagt Evers-Senne. Ausgehend von der „initialen Pose“, der Ausgangsstellung des Betrachters, extrahieren die Wissenschaftler scharfe Kanten und Helligkeitsübergänge aus dem realen Bild, um aus der Bildfolge die entsprechenden Koordinaten im 3DRaum zu berechnen. Diese werden dann in Übereinstimmung mit den virtuellen Daten gebracht, in diesem Fall mit dem Bauplan des jeweiligen Autos.

Da Kraftfahrzeuge am PC konstruiert werden, liegen diese Daten bereits vor. Der Algorithmus lässt mit Verarbeitungsraten von 30 Bildern pro Sekunde eine Weiterführung der Bilder in Kinofilmgeschwindigkeit zu. Limitierender Faktor im Werkstattbeispiel ist in erster Linie die Energieversorgung der mobilen Geräte.

Kieler Wasserturm
Aus Fotos wie diesem haben die Forscher am PC ein dreidimensionales Modell des Kieler Wasserturms rekonstruiert Foto/Copyright: Uni Kiel
Das Geschäftsmodell, mit dem Woelk und Evers-Senne nach Abschluss ihrer Promotion zu Firmengründern werden, zielt daher zunächst auf einfachere Anwendungen ab. Ihr Know-how wollen sie Personen zur Verfügung stellen, die ihren Kunden „Ideen verkaufen“. Ein Architekt etwa könnte, wenn er ein Haus umbauen will, mit der Kamera Aufnahmen davon machen. Aufbereitet mit dem Rechenverfahren und kombiniert mit den Bauplänen wird aus den Bildern eine fotorealistische und dreidimensionale Darstellung des Vorhabens. Ebenso könnten Kunsthändler Gemälde in die Umgebung einblenden, in der Interessenten sie nach dem Kauf aufhängen wollen.

Sich für die Gründung gezielt auf wenige und Erfolg versprechende Anwendungen zu konzentrieren, haben die Doktoranden während der „Entrepreneurs’ Innovation Summer School“ gelernt. Den Workshop hatte der Lehrstuhl für Gründungs- und Innovationsmanagement der Kieler Uni gemeinsam mit der Innovationsstiftung Schleswig-Holstein angeboten. „Das Seminar hat uns sehr weitergeholfen“, sagt Evers-Senne. Darüber hinaus seien nützliche Kontakte entstanden. So erstellen die Mitarbeiter des Lehrstuhls zur Zeit eine detaillierte Marktanalyse für ihr Vorhaben.

„Visionn“ (sprich: „Vision hoch n“) wird das neue Unternehmen heißen. Und so signalisiert schon der Firmenname, wie vielfältig die Möglichkeiten sind, die das markerlose Trackingverfahren aus Kiel verspricht.


 
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