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11.09.2007 Medizintechnik / Förderung

Sehen, was darunter liegt

Die Begeisterung über das, was den Kooperationspartnern da gelungen ist, ist Prof. Dr. Alf Giese deutlich anzumerken. „Damit entstehen Möglichkeiten, die es bisher überhaupt nicht gegeben hat“, sagt der Neurochirurg der Uniklinik Göttingen mit Blick auf einen kleinen Kasten am Okular eines OP-Mikroskops. Dieser unscheinbare Zusatz hat es in sich: Er soll Ärzten künftig Informationen liefern, die dabei helfen, Leben zu retten.

In der Neurochirurgie werden Patienten operiert, deren Erkrankungen im Bereich des Gehirns, des Rückenmarkes und der Nerven nicht mit konservativen Methoden geheilt werden können. Hirntumore zählen dazu. Bei diesen Gewebswucherungen stünden die Ärzte vor einem zermürbenden Problem, sagt Giese: „Wir erkennen Tumore und entfernen sie operativ, doch trotz Bestrahlung und Chemotherapie ist es oft nur eine Frage der Zeit, bis am selben Ort der Tumor nachwächst.“ Ursache seien im Körper verbliebene Tumorzellen, die während der OP nicht erkannt wurden.

OCT-Schema
OCT funktioniert wie optischer Ultraschall: Infrarotes Licht wird in Gewebe eingestrahlt. Aus Art und Stärke der Rückstreuung lassen sich durch Überlagerung mit Referenzlicht Tiefenschnittbilder des Gewebes erstellen. Quelle/Copyright: BMO
Um Gewebeveränderungen zu diagnostizieren, gibt es in der Medizin eine Reihe von Methoden – vom Ultraschall über Röntgen bis hin zur Kernspintomographie. Anwendbar sind sie allerdings nur vor oder nach, nicht jedoch während der Operation: Ist der Körper aufgeschnitten, bleibt dem Arzt nur der Blick durch das OP-Mikroskop. Genau darin liegt die Krux: „Die Tumore sehen für den Operateur gut begrenzt aus“, sagt Giese. „Tatsächlich sind sie es aber nicht.“

Bevor Giese nach Göttingen wechselte, war er Arzt an der Uniklinik in Lübeck. Aus dieser Zeit stammt sein Kontakt zu den Laserexperten am Medizinischen Laserzentrum (MLL) und dem Institut für Biomedizinische Optik (BMO) der Uni Lübeck. Sie beschäftigen sich seit Jahren intensiv mit einer neueren Form der medizinischen Bildgebung: der Optischen Kohärenztomographie, kurz OCT. Bei dieser Technik wird infrarotes Licht in Gewebe eingestrahlt. Aus Art und Stärke der Rückstreuung lassen sich durch Überlagerung mit Referenzlicht Tiefenschnittbilder des Gewebes erstellen.

„OCT ist optischer Ultraschall mit hoher Auflösung und ohne die Notwenigkeit eines Gewebekontaktes“, erläutert Dr. Gereon Hüttmann vom BMO. Die Anwendungstiefe ist auf 1 bis 2 Millimeter beschränkt. Dabei ermöglicht eine hohe Messauflösung die Darstellung von Strukturen, die kleiner sind als der Durchmesser eines menschlichen Haares.

Das Verfahren auch für den klinischen Einsatz zu erschließen, war der Grundgedanke eines außergewöhnlichen Projektes. Hüttmanns Team arbeitete darin mit Thorlabs, einer Ausgründung aus dem Laserzentrum, und dem Unternehmen Möller-Wedel aus Wedel zusammen. Möller-Wedel zählt zu den weltweit führenden Herstellern von OP-Mikroskopen. Professor Giese steuerte die medizinische Expertise bei. Unterstützung gab’s vom Kieler Wirtschaftsministerium und der Innovationsstiftung Schleswig-Holstein (ISH): Sie stellten zu nächst rund 80.000 Euro aus dem gemeinsamen Förderprogramm HWT (Hochschule-Wirtschaft-Transfer) bereit.

Den Kooperationspartnern gelang es, unter anderem durch Verwendung neuer Strahlquellen, OCT in die Optik eines OP-Mikroskops zu integrieren. Weltweit ist dies keinem Forscherteam zuvor gelungen. Künftig kann ein Arzt während der Operation auch Gewebestrukturen erkennen und damit präziser operieren. Durch die kontaktlose Messung gibt es keine Sterilitätsprobleme, außerdem muss das OP-Mikroskop während des Eingriffs nicht umgerüstet werden.

Erste Ergebnisse sind viel versprechend. „Wir haben mit OCT bereits die Randbereiche nach Tumoroperationen analysiert und damit auffälliges Gewebe entdeckt, das zuvor durch das OP-Mikroskop nicht als solches zu erkennen war“, erzählt Neurochirurg Giese. Er wird den Prototypen des neuen OP-Mikroskop in den kommenden Monaten in Göttingen klinisch erproben. Die schleswig-holsteinischen Kooperationspartner haben unterdessen eine Weiterentwicklung im Visier: Sie wollen Bewegungen wie den Blutfluss sichtbar machen, um OCT auch in der Gefäßchirurgie zur Anwendung zu bringen. Auch dieses Projekt wird von Land und ISH finanziell gefördert.


 
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