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10.10.2007 Energieeffizienz und Klimaschutz

"China und Indien werden unsere Fehler nicht machen"

Wie lässt sich der Ausstoß von klimaschädlichem CO2 wirksam und schnell reduzieren? Ganz einfach, meint der Energiewissenschaftler Prof. Dr.-Ing. Eberhard Jochem. Die Menschen müssten nur damit anfangen, vorhandene Energieträger besser auszunutzen und Verschwendung zu vermeiden Seinen Berechnungen nach lässt sich der Pro-Kopf-Energieverbrauch in Deutschland innerhalb der kommenden Jahre von heute 6000 auf 2000 Watt pro Jahr reduzieren - ohne jegliche Komforteinbußen. onside sprach mit dem Wissenschafter über das oft vernachlässigte Thema Energieeffizienz.


Die erneuerbaren Energien sind längst Dauerthema in Politik und Medien. Folgt man der Internationalen Energieagentur, dann müssen jedoch - um den CO2-Ausstoß wirksam zu mindern - zwei Drittel der Lösungen im Bereich der Energieeffizienz gefunden werden und nur etwa ein Drittel im Bereich der alternativen Energieträger. Warum ist Energieeffizienz wichtiger?

Jochem: Weil die Energieeffizienz wesentlich rentabler ist. Die Rentabilität energieeffizienter Lösungen liegt in der Regel zwischen zehn und 50 Prozent. Keine Sparkasse bietet Ihnen eine solche Verzinsung.

Heißt das, wie gehen nach wie vor schlampig mit Ressourcen um?
Jochem: Ja. Wir haben riesige Energie-Verluste in fast allen Bereichen - etwa bei der Energieumwandlung zum Strom. Da verlieren wir 42 bis 60 Prozent. Bei den Autos verlieren wir gleich 80 Prozent, bevor wir mit der Kraft an der Achse ankommen. Und in der Industrie verlieren wir im Schnitt 50 Prozent. Jeder weiß heute, dass 95 Prozent des Stroms ungenutzt bleibt, wenn man als Beleuchtung eine herkömmliche Glühlampe einsetzt. Die moderne Industriegesellschaft befindet sich, was das Energiesystem angeht, noch immer im Eisenzeitalter der Energie-Geschichte.

Die Bundesregierung hat als Ziel eine dreiprozentige Steigerung der Energieeffizienz pro Jahr ausgegeben.
Jochem: Dieses Ziel ist extrem ambitioniert, weil die Energieeffizienz bei Investitionen immer nur im Reinvestitionszyklus oder bei Erweiterung sinnvoll umgesetzt werden kann. Wenn man aber den Reinvestitionszyklus der Wirtschaft und der privaten Haushalte allein betrachtet, sind diese drei Prozent kaum zu erreichen. Allerdings haben wir im Bereich der Materialeffizienz ähnlich große Potenziale wie bei der Energieeffizienz. Wenn von dieser Seite 0,5 Prozent weniger Energie pro Jahr gebraucht würden, hätte die Energieeffizienz dann nur noch 2,5 Prozent zu leisten. Damit kommt man in einen Bereich, der noch als realisierbar erscheint.
 
Prof. Dr.-Ing. Eberhard Jochem
Energieforscher Eberhard Jochem Foto/Copyright: ETH Life/ETH Zürich
Was verstehen Sie unter Materialeffizienz?
Jochem: Man kann energieintensive Materialien, beispielsweise Zement, Stahl, Aluminium, Papier oder Glas, wesentlich effizienter nutzen oder zum Teil substituieren. Vor 40 Jahren war eine Bierflasche noch um 40 Prozent schwerer als heute. Und die Bierflasche von heute muss ja nicht das Ende der Entwicklung sein. Das Gleiche gilt für Papier und für die Autokarosserie. Das heißt also, entweder macht man das Material besser, die Konstruktion intelligenter, oder man nimmt ein anderes Material mit geringem Energieaufwand zu seiner Herstellung.

Mit wie wenig Energie könnte der Mensch in einer Industriegesellschaft auskommen?

Jochem: Der Rat der Eidgenössischen Technischen Hochschule entwickelte 1998 die Vision, den heutigen Pro-Kopf-Energieverbauch innerhalb von 50 Jahren von etwa 6000 auf 2000 Watt pro Kopf und Jahr zu senken. Das ist tatsächlich möglich, wie ich mit sieben weiteren Kollegen in den letzten Jahren herausfand. Allerdings spielen dabei neben neuen Technologien zur Steigerung der Energie- und Materialeffizienz auch organisatorischen Dinge eine Rolle.

Zum Beispiel?
Jochem: Man nutzt im größeren Maße Car-Sharing und leiht vermehrt Baumaschinen aus. In der Industrie könnte man noch viel mehr im Lohnauftrag machen, damit die Anlagen besser ausgelastet sind. Dies alles führt zu weniger Energiebedarf bei der Herstellung all dieser Güter und zu einem neueren und effizienteren Kapitalstock dieser Güter.

Welche Annahmen haben Sie für die Energieerzeugung unterstellt?
Jochem: Vor allem die Wirkungsgrade bei den Umwandlungsstufen von Primärenergie in Endenergie (z.B. thermische Kraftwerke) und von Endenergie in Nutzenergie (z.B. Strassenfahrzeuge, Abwärmenutzung) müssen erheblich verbessert werden. Dabei spielen auch neue Technologien eine Rolle, zum Beispiel Gas-/Dampfturbinen-Anlagen zur Stromerzeugung, die Brennstoffzellentechnik, der Ersatz von Brennern durch Gasturbinen oder Wärmepumpen und Wärmetransformatoren.

Und die Atomindustrie? Die würde doch gern zum Klimaretter werden...
Jochem: Dahinter steckt viel Marketing. Man kann mit der Kernenergie die CO2-Emission pro Kopf und Jahr vielleicht um zwei Tonnen reduzieren, also von zehn auf acht Tonnen. Damit bleiben aber immer noch acht Tonnen übrig. Wir haben derzeit einen hohen Brennstoffbedarf, der durch Kernkraft nicht gedeckt werden kann. Kernenergie kann, wenn sie öffentlich akzeptiert wird, einen Teilbeitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen leisten, ist aber sicherlich keine Rettung. Langfristig wird man ohnehin auf erneuerbare Energien setzen müssen - und auf Energieeffizienz.

Führt das Einsparen von Energie zur schleichenden Deindustriealisierung, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie befürchtet?
Jochem: Es könnte sein, dass genau das Gegenteil passiert. Wer Ressourcenverbrauch substituieren will, braucht mehr Investitionsgüter und mehr Dienstleistungen. Das, was der BDI als Damoklesschwert über der Wirtschaft schweben sieht, ist eigentlich die Frage, ob energieintensive Branchen auswandern. Schaut man sich aber an, welche Industrien tatsächlich ihre Produktion verlagern könnten, dann stellt man fest, dass das vielleicht ein Prozent vom Bruttosozialprodukt ausmacht und 0,5 Prozent bei den Beschäftigten.

An welche Bereichen denken Sie dabei?
Jochem: Man könnte sich vorstellen, dass die Aluminiumindustrie Standorte verlegt, weil Primär-Aluminium ein relativ wertvolles, homogenes Material ist, das man gut transportieren kann, mit klar definierten Qualitäten. Für Zement zum Beispiel gilt das schon nicht mehr, weil der Wert pro Tonne zu viel gering ist, als dass man ihn in großem Maßstab aus dem Ausland beziehen würde.

Nun ist Klimaschutz ohnehin kein nationales Problem. Sind unsere Anstrengungen angesichts des rasanten Entwicklungstempos der Schwellenländer nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Jochem: Es ist ein Märchen, zu behaupten, dass die Industrieländer nicht das Gesetz des Handelns bestimmen. Eine moderne Technologie, die klimafreundlich ist, diffundiert weltweit in die Märkte und wird selbstverständlich von den Entwicklungs- und Schwellenländern aufgegriffen. Hinzu kommt, dass wir in erheblichem Umfang Studenten aus den Schwellenländern ausbilden.

Wie groß ist die Gefahr, dass China und Indien die Umweltsünden des Westens wiederholen?
Jochem: Sie werden die Fehler in diesem Umfang nicht machen. Weil die Einsicht da ist, weil die Technologie weiter entwickelt ist. Und weil sie ja schon heute Probleme mit der Knappheit von Ressourcen haben. Wenn China in einem drei- bis vier Wochenrhythmus ein neues Kohlekraftwerk hinstellen muss, um den Strombedarf zu decken, wird man sich dort sehr schnell fragen, woher eigentlich die Kohle dafür kommen soll und ob es nicht sinnvoller ist, wesentlich effizientere elektrische Geräte zu produzieren, weil man dann mit wesentlich weniger Aufwand wesentlich mehr Nutzen erzielt. Wenn die Europäer nicht aufpassen, werden wir sehr bald Geräte aus China bekommen, die effizienter sind als unsere und gleichzeitig billiger, weil die Arbeitskosten dort geringer sind.
 
Welche Möglichkeiten gibt es, auf regionaler Ebene Anreize für Energieeffizienz zu schaffen?
Jochem: In der Schweiz haben wir sehr gute Erfahrungen mit Energieeffizienz-Netzwerken in der Wirtschaft gemacht. Das sind lernende, lokale Netzwerke, die in der Tendenz ihre Effizienzgeschwindigkeit durch Erfahrungsaustausch um den Faktor zwei bis drei gegenüber dem Durchschnitt der Industrie erhöhen. Die Unternehmen, die beteiligt sind, treffen sich etwa alle drei Monate für einen Nachmittag, und diejenigen, die Neues investiert haben oder Investitionen planen, berichten darüber. Die anderen können das dann blitzschnell aufgreifen und müssen nicht selbst recherchieren.

Was für Investitionen sind das und wie offen informieren die Teilnehmer darüber?
Jochem: Das funktioniert ohne die Gefahr, Betriebsgeheimnisse zu verraten, weil diese regional ansässigen Unternehmen oft nicht direkt miteinander um Kunden konkurrieren. Es geht um den ganzen Bereich der Querschnittstechnologien, angefangen von der Drucklufttechnik über die Wärme- und Kälteerzeugung und -verteilung, Wärmedämmung bis hin zur Beleuchtung oder Abwärmenutzung. Manchmal geht es auch in die Prozesstechnik hinein, aber der Schwerpunkt liegt in der Regel im Bereich der Querschnittstechnologien.

Welche weiteren Maßnahmen sind auf regionaler Ebene denkbar?
Jochem: Zum Beispiel Aktionen, die den Gebäudebestand betreffen, weil der Gebäudebestand sehr stark regional betreut wird. Ein hoher Ausbildungstand ist da ganz entscheidend - vom Architekten bis zum Bauhandwerker. Eine weitere Maßnahme betrifft Elektrogeräte, die ja schließlich lokal verkauft werden. Durch entsprechende Instrumente und Programme auf regionaler Ebene könnte man zum Beispiel dafür sorgen, dass überdurchschnittlich viel A-Geräte mit niedrigstem Energieverbrauch gekauft werden.

Diskutiert wird auch die Einführung eines Energieeffizienzfonds. Was ist darunter zu verstehen und wie ließe er sich finanzieren?
Jochem: Der Energieeffizienzfonds ist nur eine Metapher dafür, dass die öffentliche Hand mit erheblichen finanziellen Mitteln tätig wird, um Hemmnisse im Bereich der Energieeffizienz zu überwinden. Vorstellbar ist, dass zum Beispiel jenes Geld, dass der Staat durch die Versteigerung von Emissionszertifikaten einnimmt, für entsprechende Maßnahmen wie den Aufbau von Energieeffizienznetzwerken, Förderung beruflicher Fortbildung oder Investitionszuschüsse verwendet wird.

Wie beurteilen Sie Versuche von Geotechnologen, anfallendes CO2 in der Erde oder sogar in der Tiefsee zu lagern?
Jochem: Dieser Weg ist durchaus gangbar. Die Frage ist, ob es Messtechniken und -verfahren gibt, um festzustellen, welche Aquifere (tief gelegene Wasserspeicher) in der Erde die erforderliche Dichtheit haben. Schließlich müsste man sie mindestens solange ohne erhebliche CO2-Verluste nutzen, bis die Menschheit sich  vom fossilen Zeitalter verabschiedet hat.

Bekommen wir das CO2-Problem in den Griff?
Jochem: Ich bin optimistisch - aus verschiedensten Gründen. Ich denke immer noch, dass es in der Politik, in der Versicherungswirtschaft, in der Bankwirtschaft und in der Investitionsgüter-Industrie hinreichend kluge Entscheider gibt. Und vielleicht helfen künftig auch weitere Hurrikans, Hitzewellen oder andere unerwartete Extremereignisse dabei, die Menschen zum Nachdenken zu bewegen.

 
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