16.04.2008 | Bauen und Wohnen / Existenzgründung |
Das 33-Sekunden-HausWer lässt sich schon gern bei der Arbeit auf die Finger schauen? Die Professoren Georg Conradi und Manfred Logemann haben kein Problem damit. Im Gegenteil: Im Fachbereich Bauwesen an der FH Lübeck sorgen sie bewusst mit öffentlichen Versuchen und im Internet aufrufbaren Messungen für Transparenz. Ihr Team hat das Konzept für ein Gebäude mit bester CO2-Bilanz, optimalem Raumklima und hohem Energiestandard entwickelt. Ein Haus, das durch seine Einfachheit verblüfft.Nachwachsende Materialien aus der Umgebung sind die Rohstoffe für das, was heute unter der Marke Regionalhaus Schleswig-Holstein eingetragen ist. Denn warum in die Ferne schweifen? Wir wollen einen Impuls zur Entwicklung norddeutscher Baukultur liefern und damit das Bauhandwerk und die lokale Land- und Forstwirtschaft stärken, sagt Conradi. Dazu haben wir Elemente zusammengeführt, die bisher so in keinem baulichen Zusammenhang standen: Reetdach und Massivholz.
Brandversuch: Aufgrund der Konstruktionsweise blieb das Gebäudeinnere auch 30 Minuten nach Entzünden des Reetdachs ohne Schäden. Foto/Copyright: Conradi
Um die Eigenschaften eines solchen Baus zu studieren, wurde ein 15 Quadratmeter großes Testhaus errichtet, das bis heute einiges auszuhalten hatte. Zum Beispiel einen Brandversuch: Erst nach dreißig Minuten löschte die bereitstehende Feuerwehr das von den Forschern entzündete Reet. Die Reetauflage sei zwar verbrannt, erzählt Conradi. Der Innenraum des Hauses blieb jedoch frei von Brand- und Löschwasserschäden. Versuche unter Laborbedingungen am Institut der Feuerwehr Sachsen-Anhalt bestätigen, dass die Bauweise das Risiko, dass es etwa bei Blitzschlag zum Totalverlust kommt, erheblich reduzieren kann. Doch wie steht es um die Bauphysik? Kontinuierliche Messungen geben die Antwort. Die Forscher fanden zusammen mit Brandschutzingenieur Steffen Slama heraus, dass auf eine zusätzliche Dämmung bei ausreichend dicken Holzplatten verzichtet werden kann. Alternativ lässt sich eine Dämmschicht aus Seegras einbringen. Probleme mit Schimmelbildung? Bisher Fehlanzeige. Und das, obwohl die Wissenschaftler in der jüngsten Heizperiode die Luftfeuchte im Haus bewusst hoch gehalten haben. Die Konstruktion ist diffusionsoffen in beiden Richtungen, erläutert Conradi. Das verhindert die Bildung von Tauwasser. Umgesetzt wurde das Regionalhauskonzept erstmals bei einem Wohnheim der DLRG in Scharbeutz. 2005 nutzten mit Hauke Kraß und Thomas Schneider zwei Absolventen der FH das Angebot, das die Innovationsstiftung Schleswig-Holstein Nachwuchswissenschaftlern mit ihren von der EU kofinanzierten Gründerstipendien macht: Sie gründeten ein Planungsbüro, das sich schwerpunktmäßig mit ökologischem Bauen beschäftigt. Heute führt Kraß das Büro zusammen mit dem Architekten Tobias Mißfeld. Der Kontakt zur FH ist weiterhin eng. 100 Kubikmeter Massivholz werden für ein durchschnittlich großes Einfamilienhaus in dieser Massivholzbauweise benötigt. Legt man Zahlen des Kieler Umweltministeriums zugrunde, wächst der Rohstoff im waldärmsten deutschen Flächenland in 88 Minuten nach. Bundesweit geht es mit nur 33 Sekunden um ein Vielfaches schneller Gedankenspiele, die die Nachhaltigkeit des Ansatzes verdeutlichen. Professor Conradi hofft nun auf weitere Bauträger, zumal auch die Kosten des Regionalhauses nur wenig höher seien als bei herkömmlicher Bauweise. Sein bestes Argument sind die Messergebnisse. Ein Grund mehr, sich bei der Arbeit auf die Finger schauen zu lassen. |
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