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22.12.2008 HWT

Trennungsprobleme

Wer verstehen will, womit sich die Forscher am Institut für Signalverarbeitung und Prozessrechentechnik der Uni Lübeck beschäftigen, der stelle sich eine Cocktailparty vor. Viele Leute reden angeregt durcheinander, so dass es nicht immer einfach ist, seinem Gegenüber zu folgen. Wir Menschen können Störsprecher aus einer Raumrichtung unterdrücken und dadurch die Sprachverständlichkeit verbessern. Und wir folgen Mimik und Bewegung der Lippen. Was aber, wenn die Spracherkennung automatisiert werden soll?

Sensoren wissen zunächst einmal nicht, welche Quellen unterdrückt und welche verstärkt werden sollen. Zudem sind sie nur auf eine Informationsart ausgerichtet, und genau das kann zum Problem werden. “In der industriellen wie auch in der medizinischen Signalverarbeitung steht man sehr häufig vor der Herausforderung, Muster zu erkennen und bestimmte Objekte oder Zustände zu klassifizieren“, sagt Prof. Alfred Mertins. Wenn zum Beispiel Bauteile gefertigt werden, lassen sich Defekte mit Hilfe von Kamerasystemen aufspüren. In der Medizin werden etwa Gewebeveränderungen mit Hilfe Bild gebender Verfahren diagnostiziert.

Solange die jeweiligen Objekte vereinzelt werden können, ist die Sache vergleichsweise einfach. Deutlich schwieriger wird es jedoch, wenn es zur Überlagerung von Signalen kommt. “Denken Sie an das EKG einer schwangeren Frau, bei der auch der Herzschlag des Fötus aufgezeichnet wird. Für eine Diagnose muss man die zwei aufgezeichneten EKGs mit geeigneten Mitteln trennen“, erläutert der Professor. “Entsprechendes würde auch für die Spracherkennung auf der Cocktailparty gelten.”

Einem ähnlichen Problem mit Überlagerungen von verschiedenen Quellen geht die Arbeitsgruppe von Professor Mertins in einem neuen Forschungsvorhaben auf den Grund. “Wir wollen zeigen, bis zu welchem Grad bei linearen und schwach nichtlinearen Mischungssystemen eine automatische Objekttrennung und robuste Merkmalsgewinnung möglich ist.” Gewissermaßen als Demonstrationsobjekt rücken dabei die deutschen Autobahnen in das Blickfeld der Lübecker Forscher.

Der Bund als Betreiber der Autobahnen ist daran interessiert, in Echtzeit zuverlässige Verkehrsdaten zu bekommen. Deshalb sind in der Fahrbahn so genannte Induktivschleifen eingelassen. Fährt ein Auto darüber, ändert sich das Magnetfeld, was gemessen werden kann. Es entsteht eine so genannte Überfahrkurve. Typische Fahrzeugklassen erzeugen typische Kurvenverläufe: Aus jeder Kurve wird ein Merkmalsvektor generiert, der einem statistischen Klassifikator zugeführt wird. Aufgrund der Einordnung weiß man, dass es beispielsweise ein PKW und kein Sattelschlepper war, der über die Autobahn gefahren ist.

“Da sich in jedem Fahrstreifen meist zwei Induktivschleifen hintereinander befinden, kann sogar die individuelle Geschwindigkeit gemessen werden“, sagt Mertins. Als ein Hamburger Unternehmen Anfang der 90er Jahre den ersten Klassifikator dieser Art für acht Fahrzeugklassen entwickelte, war Mertins – damals noch in Diensten der TU Hamburg-Harburg – einer der Kooperationspartner. Noch heute gilt dieses System als das genaueste seiner Art. Großer Nachteil ist allerdings, dass die Schleifen in die Fahrbahndecke eingelassen werden müssen, was aufwändig ist und die Haltbarkeit der Fahrbahn beeinträchtigt.

Schöner wäre es, könnte man die Messung weit unter der Fahrbahndecke mit Sensoren durchführen, die vom Fahrbahnrand aus in Rohren verlegt werden. Mit größerem Abstand verschlechtert sich aber die Signalqualität, und die Sensoren messen auch Fahrzeuge, die gar nicht auf dem zu beobachtenden Fahrstreifen, sondern nebenan fahren. “Genau an dieser Stelle setzt unser Vorhaben an“, sagt Mertins, “wir wollen Methoden der blinden Quellentrennung und der Mustererkennung so verknüpfen, dass dieses Übersprechen zwischen den Fahrstreifen automatisch kompensiert werden kann.” Kooperationspartner ist die Hamburger Traffic Data Systems GmbH. Mertins ist überzeugt, dass eine Lösung des Problems auch anderen Einsatzgebieten zugute kommt. “Der Ansatz ist grundlegend und nicht auf ein spezielles Anwendungsproblem beschränkt.”

 
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